Buchvorstellung

José Saramago
Die Stadt der Sehenden

btb 2014/2015

Es sind Wahlen in der Hauptstadt und keiner geht hin. Das wäre bedenklich. Aber so ist es nicht. Es sind Wahlen und die Wähler tun auf andere Weise ihre Meinung kund: Sie geben einen weißen Stimmzettel ab – schockierende 75% sind es! Die Regierung meint die Ursache im schlechten Wetter am Wahltag zu sehen. Eine Wahlwiederholung bringt aber ein ähnliches Ergebnis: Diesmal sind gar 80 Prozent der abgegebenen Stimmzettel weiß. Die politische Elite des Landes ist fassungslos.
Die Regierung verhängt den Ausnahme-, später den Belagerungszustand über die Hauptstadt, um der angeblichen Bedrohung der Demokratie Herr zu werden. Sogar Panzer fahren auf. Die Bewohner sind aber wenig beeindruckt und leben "normal" weiter.
Die Behörden machen aber eine Schuldige aus: die Frau des Augenarztes, die in "Die Stadt der Blinden" als einzige das Augenlicht nicht verloren hatte.
Interessant zu verfolgen sind die Gespräche und Verhandlungen innerhalb der Regierung, die aktuelle Erfahrungen erinnern: hohle Phrasen und leere Floskeln... Der Roman ist eine Parabel über die Zerbrechlichkeit scheinbar fest gefügter staatlicher Institutionen.

Leider ins der Roman wegen der sprachlichen Gestaltung (kaum Absätze, keine Redezeichen...) eher mühsam zu lesen. Macht aber nachdenklich.
18.04.2021