Buchvorstellung |
Julia
Franck
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Heike Geilen (Dresden)! Ihre Bespechung gefällt mir so gu, dass ich sie für mich übernehme. Danke. Ist das OK? "So etwas wie mich dürfte es gar nicht geben", sagt die Protagonistin in Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau", die kein rettendes Ufer im Strom der Menschheit findet und im Innersten erkaltet. Ein bewegendes Schicksal einer Frau zwischen zwei großen Kriegen und eine würdige Buchpreisgewinnerin und Bezwingerin der Mittagsfrau. Diese sorbische
Legende durchzieht als Metapher das ganze Leben ihrer Protagonistin Helene,
eine Frau, die sich einer ungeheuerlichen, eigentlich nicht nachvollziehbaren
Tat schuldig gemacht hat. Ohne Erklärung, ohne Kommentar, lässt
sie ihren achtjährigen Sohn Peter 1945 allein auf einem Bahnsteig
zurück. Sie sind auf der Flucht, weg aus Stettin, weg von Hunger,
Elend, den verbrannten Toten im Hausflur, weg von den vergewaltigenden
Horden der Russischen Armee, denen auch Helene nicht entkommen konnte.
Bereits die ersten Seiten zwingen zum Luft anhalten. Julia Franck schreibt psychedelisch. Sie dringt in den Kopf des Lesers ein. Der Prolog ist ein Bericht des Schreckens, mit den unschuldigen Augen eines kleinen Jungen. Er schildert die letzten Kriegstage und die beginnende Nachkriegszeit in Stettin mit seiner in sich gekehrten, tief traumatisierten Mutter, die offensichtlich mit der Erziehung ihres Sohnes überfordert ist. Eine nicht ganz einfache Kindheit in der Lausitz, der Verlust ihrer großen Liebe in Berlin und die demütigende Ehe mit Wilhelm, einem Nationalsozialisten... Helene lebt, aber innerlich taub. Sie beginnt sich immer weiter in eine Sprachlosigkeit zurückzuziehen. Trost findet sie nur noch in ihrer Arbeit als Krankenschwester. Doch ist dies entschuldbar für ein derartig verachtenswertes Verhalten? In diesem
Moment schlüpft der Leser zum ersten Mal in die Rolle der Mittagsfrau,
die - so sagt es die Legende - den Menschen, die zur Mittagszeit arbeiten,
Wahnsinn und Tod bringt. Nur wenn man ihr eine Stunde lang von der Verarbeitung
des Flachses erzählt, verliert sie ihre Macht. Nun erzählt Julia
Franck keineswegs über die Herstellung von Flachs, dafür spinnt
sie einen Erzählfaden über den Entwicklungsweg Helenes und verhindert
damit, dass der Leser bereits nach den ersten 30 Seiten die Sichel an
den Hals der "Rabenmutter" setzt. Der Roman
spannt einen großen Bogen über 30 Jahre deutsche Geschichte:
von der wilhelminischen Zeit bis kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
In dieses denkwürdige historische Umfeld hat die Autorin eine berührende
Familiengeschichte über drei Generationen gesetzt. Die Autorin zeichnet
mit großer Einfühlsamkeit die Hoffnungen, das Glück und
die Enttäuschungen Helenes nach, vom sensiblen, doch starken, klugen
und liebesfähigen jungen Mädchen zur harten, hilflosen und desillusionierten
Frau. All ihre
divergenten Charaktere sind mit ausgeprägtem Feingefühl gezeichnet
und wirken vollkommen stimmig. Hinzu kommt eine wunderbare, schnörkellose,
poetische Sprache. Julia Franck beherrscht die Klaviatur der Wörter und Sätze virtuos. Franck schreibt authentisch. Vielleicht, weil ihre eigene Familiengeschichte Parallelen aufweist. Fazit: |